Der Ansatz philosophischer Kritik an der Sicherheit des Wissens hält sich in der Regel in wenigen Bahnen, von denen drei mir besonders hervorzustechen scheinen: die nach der Sicherheit von Wahrheit überhaupt, so sie von endlichen Wesen erkannt werden kann, und nach der Schwierigkeit und dem Widerspruche in jedem einzelnen Gedanken; die nach der Sinnhaftigkeit der Wahrheitssuche im Leben überhaupt, nach dem Zwecke, den wir uns vorsetzen, wenn wir versuchen, etwas wahres zu erkennen; und die nach der Vernünfigkeit, der Geplantheit nach einem Muster, nach dem der Gedanke als gerechtfertigter das Wissen nicht allein, sondern auch den Zweck beantwortet, nach dem das Wissen gesucht worden war. Ich möchte in diesem Text darstellen, warum zwar die ersten beiden, nicht aber die dritte Form des Zweifels gerecht ist oder der Sache wird; und den Zusammenhang zwischen diesem dritten Prinzip, wie man es zum Beispiel in dem zweiten Teil der Cartesischen Discours findet, und der politischen Idee der Revolution herstellen, um damit auch zu erklären, warum ich zwar jegliche auf eine bestimmte Sache gehende Kritik und Reform für im Zweifelfall nötig, und auch die Reflektion auf die Kritik des Ganzen für unbedingt notwendig erachte, die Idee einer Totalreform, die alles von den Fundamenten wieder neu aufrichten möchte, in Politik gleich wie in Erkenntnis für etwas unmögliches, und das Streben danach für eine Überheblichkeit und Gedankenlosigkeit ansehe. Dieses aber gerade nicht aus einem Affekte der Versöhnung, sondern umgekehrt aus der Einsicht, dass die Kritik sich von ihrem Objekte nicht lösen kann, und ebenso auch nicht die Veränderung von dem was sich ändert, und das spätere vom frühern; und dass die Erinnrung daran ihr erst das überall mitteilt was sie selber ist, oder was davon noch als bewußtes geblieben ist und daher unsere Art ausmacht, es aufzufassen. Aber der Reihe nach:
Die Kritik an der Schwierigkeit, die im Wissen liegt und darin, eine Sache überhaupt als das zu erkennen was sie ist, ist gerechtfertigt gegenüber der Arroganz in der Institutionalisierung der Erkenntnis. Jeder, der glaubt, professionell zu wissen, irrt. Er weiß höchstens eben jenes, was er betreibt, also dass eine bestimmte Sache das Ergebnis einer Methode ist. Ob diese Methode allerdings wahr ist, ist eine andere Sache. Zu wissen, wie etwas nachzuschauen ist, es benutzen zu können, und die Sache wirklich zu verstehen, ist ja allerdings etwas anderes. Die alten sokratischen Einwände sind meiner Ansicht nach nie wiederlegt worden; und eigentlich nur mit dem Trotz von Titel und Stuhl nennt sich der gekrönte Sophismus Philosophie, von den antiken Dogmatikern über die Scholastik bis zur heutgen Wissenschaft. Dies ist durchaus keine Verdammung ihrer Erkenntnisse; bloß des Anspruchs, diese Erkenntnisse würden die Fragen wirklich beantworten, von denen sie meint, dass sie das tut, aber die in Wahrheit kein bisschen dadurch beantwortet sind. Keine noch so genaue Berechnung von Effekten in der Physik offenbart das Wesen der Kausalität oder allgemein der zeitlichen Veränderung und des Werdens, sie beschreibt diese nur; keine noch so genaue Katalogisierung und genetische Beschreibung von Tieren und Pflanzen erklärt, was Leben ist, sondern eröffnet erst die empirische Datenbasis, den Begriff des Lebens reflektierter Denken zu können; und keine anthropologisch-psychologische, oder historisch-soziologisch-politologische Darstellung von dem, was Menschen tun können oder getan haben, beantwortet eine Frage nach dem, wie ich mich verhalten soll, und was der Zweck des Daseins sein kann. Das ist alles auch offensichtlich; denn niemand, der diese Wissenschaften ernstlich betreibt, findet ja darüber etwas heraus. Aber trotzdem ensteht, auch innerhalb der Instituitionen, aber noch mehr außerhalb, der Eindruck, man verstände davon etwas, zumal man seine eigene Meinung dazu ja auch besser erläutern kann, je mehr Beispiele man kennt. Aber dass dieses Wissen, was ja das einzelne benutzt, um das allgemeine, und nicht das allgemeine, um das einzelne zu erklären, keine wirkliche Grundlagen neu begründen kann, ist jedem, der über seine Ergebnisse offen Rechenschaft ablegt, zu entnehmen, da sie es selber sagen. Die Skepsis gegen diese Art von Wissen ist also Skepsis gegen die Ablehnung jener Bescheidenheit von denen, die sich ihr äußerlich erworbenes Wissen für mehr nehmen lassen wollen als es ist; und daher auch ganz in der Sache gerechtfertigt, da es nur darum geht, jenen, die unser kodifiziertes Wissen verfassen, nicht nur dabei zu glauben, was wir dadurch erkennen, sondern auch, was wir dadurch niemals verstehen können. Es geht hier also eigentlich um den Unterschied von der gelernten und gelehrten Fakten, und den letzten Fragen, die durch diese gar nicht berührt werden können, von denen man aber, so denke ich gegen Wittgenstein, durchaus sprechen kann und muß, aber eben nicht in der Form von formal kodifizierbaren Propositionen, überüprüft nach einer gewissen objektiven Methode, sondern die durchdacht werden müssen, und Element der subjektiven Realität werden müssen, sollen sie überhaupt für jemanden existieren. Es geht hier also darum, die Skepsis, die diejenigen, von der die Gesellschaft behauptet, sie würden wissen, über eben dieses ihr eigenes Wissen haben, gegen ihren Titel und gegen die Beispiele zu glauben.
Die Kritik am Zwecke der Erkenntnis ist ebenso gerechtfertigt. Es ist zu leicht zu sagen, die Wahrheit zu erkennen sei sich gut genug; denn das ist eben keine Rechtfertigung, sondern nur eine Verallgemeinerung. Es mag ja sein, und ich glaube es auch, dass Wahrheit zu erkennen eine Art heilige Pflicht ist, der Göttin Aletheia oder einem andern Gotte oder auch nur sich selbst gegenüber, aber warum das so ist, ist ja doch eine Frage. Und nicht jede Erkenntnis kann sich ja so rechtfertigen, besonders aber nicht die Wahl einer vor einer andern Richtung; warum ich gerade diese Epoche, dieses Werk, diese Sprache, diese Tierart oder diese Reaktion betrachte; dass ist alles aus dem reinen Willen zu Wissen unerklärlich und hat äußre Umstände. Dies ist ganz so wie bei der Frage nach dem Leben überhaupt; dass es kein Selbstmord ist, rechtfertigt nicht eine bestimmte Lebensführung, und auch wenn irgendwie zu leben mir Verpflichtung, auch nur mir selbst gegenüber, sein mag, dann weiß ich ja doch dadurch noch nicht Verpflichtung wozu. Diese Art der Kritik richtet sich also gar nicht gegenüber den bestimmten Inhalt, oder Sinn einer bestimmten Aussage; so können wir zum Beispiel völlig sicher darin sein, das Wesen des Grundes und der Kausalität genau studiert zu haben, und immer noch unsicher sein, warum wir dies getan haben. Und es kann sich ja auf alles beziehen: ich kann, während ich das Wesen der Welt und ihre Erkenntnis lerne, mir unsicher sein, warum ich nichts politisches tue, und umgekehrt in den konkreten Angelegenheiten gesellschaftlichen Lebens den Drang nach dem allgemeinen des Kosmos verspüren, ebenso in Bezug auf Kunst, Mathematik, Geschte usw. Der entscheidende Kritikpunkt ist hier der der Rechtfertigung der eignen Interessen, und wie ich wissen kann warum ich etwas will, ohne aber die ja doch unübersehliche Tatsache, dass ich nunmal das will was ich will, auch wenn ich nicht weiß warum, zu verleugnen, und also, anstelle durch fehlende Rechtfertigung das, was ich wollte, zu verfluchen, eher zu verstehen, was mich dazu gedrängt hat, um darin vielleicht auch Erkenntnis zu sehen und neue Wahrheit über die Erscheinung des Guten, des Wahren über dasjenige, was als Wert und Wille erscheint, zu erzeugen oder wiederzufinden aus dem Repertoire eben jenes Willens aus der Tiefe meines Geists.
Man kann also denn fragen, warum die Kritik eben jener beiden ablehnen? Ist die cartesische Kritik, dass das Wissen nicht auf gutem Grunde steht, und auf neue Fundamente gebracht werden muss, nicht nur die Kombination eben jener Traditionen von Fragen - dass er ja fragt, wie das Wissen fundiert sein könnte, wenn es nicht nach einem Plane und zu einem Zwecke errichtet worden, und man also es neu errichten müsste? - Nun, es liegt da eben doch einiges dazwischen. Nehmen wir also die Kombination dieser beiden Kritiken: einerseits ist uns unser Wissen ungewiss, andrerseits aber auch Ziele, warum wir es wissen wollen. Das beides mag ja richtig sein, aber es ist nicht ausgemacht, dass es besser werde, wenn man es nur neu errichtet, neu plant und einrichtet. Descartes hat dies ja auch für andere Dinge wohl erkannt, etwa für den Staat, und meint dort ganz richtig, dass man dem Glauben, es nur neu machen zu müssen damit es besser werde, nicht nachsinnen dürfe, da Staaten eben einfacher zu zerstören als zu errichten seien; er glaubte aber, beim Ich und seinem Wissen wäre es einfacher, und dort also sei die Suche nach dem Fundament, und seine erneute Errichtung, das wesentliche. Was mich hieran nur stört, ist folgendes: eine einzelne Sache an diesem Fundamente - und d.h. zum Beispiel eine Idee von Kausalität oder Realität, oder vom Zwecke historischen oder mathematischen Wissens - oder auch eine beliebige Kombination solcher Elemente - kann man ja nach belieben kritsieren und bedenken, eben da man sie von außerhalb ihrer selbst sieht. Wäre man nur ganz darin, und wunderte man sich, warum man das eigentlich tut, wär's ja nichts anders als Verzweiflung; aber eben da ich darüber bin, _über_ dieses nachdenke, bin ich nicht darin, und kann es so oder so betrachten. In der Sache stehend aber ist sie schlicht da. Ich kann nicht gleichzeitig abstrakt über Mathematik nachdenken, in dem Sinne, was sie ist und was das soll, und sie betreiben; ich kann allerhöchstens sie betreiben, mit dem Bewußtsein es beim Betreiben nicht bedenken und also nicht wissen zu können, d.h. mit einer gewissen Verzweiflung. Mein Vorwurf an Descartes ist eine fälschliche Gleichsetzung dieser Verzweiflung mit einem thematischen Zweifel, der Methode der Reflektion über den Gegenstand sein kann, also gerade nicht darin ist.
Ich will es aber genauer formulieren. Denn eigentlich gilt mein Ärger gar nicht der These, dass man eine Theorie vielleicht derart betreiben sollte, auf Versuch an allem zu verzweifeln um vielleicht einen neuen Boden zu gewinnen, oder dergleichen. Mein Ärger ist vielmehr die Gleichsetzung dieser Methode mit dem, was darin gewonnen wurde, oder die Idee, dass der Zweifel, der über eine Sache besteht, und die methodische Kritik ermöglicht, d.h. die Kritik am Sophismus, am bloßen und blinden Glauben an die Methode, dasselbe sei wie die in dieser Methode beschlossene Zweifelhaftigkeit über ihre eigne Begründbarkeit. Genauer gesagt, finde ich etwa seine Kritik am Glauben an die eigene Bildung sehr gerecht, aber falsch die Idee, dass deshalb ein Neubeginn gewagt werden müsste. Denn dieser ist ja eben nach derselben Weise zweifelhaft, wenn er sich wiederum derselben Methode bedient. Was er schafft, ist die Probleme neu, d.h. systematisch, vor Augen zu stellen, aber er beantwortet keinesfalls die gestellten Fragen. Durch eine systematischere Darstellung und sich selbst Rechenschaft pflichtige Darstellung auch aller Erkenntnis wird diese keineswegs, was Inhalt und Zweck angeht, deutlicher, höchstens ihre Defizite transparenter. Und vor allem wird diese neue Darstellung kein neuer Anfang; und darin liegt vielleicht die größte, und historisch folgenschwerste Wirkung der cartesischen Methode: dass sie systematisch sich selbst der Vergangenheit verdeckt, ja, verdecken will, und damit genausowenig sich die Vergangenheit, von der sie getrieben wird, eingesteht, wie sie der Zukunft es erlauben würde, sich das Getriebensein durch sie einzugestehen. Dies will ich erst an dieser Frage der intellektuellen Erbschaft diskutieren, und dann auch an der politischen. Aber erst einige ganz allgemeine Bemerkungen:
Mir scheint, dass die einzige Art wirklich neu anzufangen das Vergessen ist, und dementsprechend auch der Wille nur insoweit frei ist wie wir schon vergessen haben warum wir etwas dereinst wollten oder nicht. Erinnerung knüpft immer an das ältere an, und sofern ich weiß, wovon ich mich lossage, fange ich ja doch nicht ganz neu an. Daran ist auch nichts verwerflich; ich muss das alte ja nicht gut heißen; aber ich weiß ja doch dass es da ist. Wenn ich nun aber sage: ich will mich von allem lossagen und neu anfangen, also so tun, als wäre das, was ich nun denke, ganz unmittelbar und natürlich, und so gar nicht vom ältern abhängig; dann kann ich dies ja doch nur auf zwei Arten tun: als Selbstbetrug oder als freiwillige Amnesie. Denn ansonsten fange ich ja eben nicht ganz neu an, sondern baue nur das alte um. Wissen, Denken, Wollen, das ist eben kein Bauplatz, wie Descartes seine Metapher nimmt; man kann nicht einfach in ein andres Bewußtsein umziehen, auch nicht vorübergehend. Es kann ein andres da sein, und sie können einander abwechseln usw., aber das ist nichts, was ich so ohne weitres beeinflussen kann, ohne mir oder meinen Worten Gewalt anzutun. Ich erinnere ja eben doch; wenn ich's vergesse, dann vergesse ich es; aber vergessen zu wollen ist etwas andres. Ich bezweifle auch gar nicht, dass nach manchen persönlichen Erlebnissen dies alles zu vergessen eine gute Idee sein mag; die Traumaforschung ist ja davon voll, und die Berichte aller möglichen pluralen und singulären Überlebenden. Aber das ist ja doch keine Basis für eine Reform der Philosophie, eben da es überhaupt keine Handlung, sondern Reaktion ist, und damit ebenso unwillkürlich wie das gewöhnliche Vergessen, nur aus anderm Grund, aus Schmerz und nicht aus Unabsichtlichkeit. Die Idee, wie auf dem Bauplatz im Denken einmal neu anzufangen, hat keine Haltung, da sie die Grundlage des Denkens, Vermittlung in der Erinnerung zu sein, übersieht. Aber sie ermöglicht es dem Denken, sich zu täuschen; entweder wirklich zu denken, dies sei alles neu, natürlich usw, oder zumindest nach außen so zu tun, und der nächsten Generation vorzugeben, es habe damit nun alles angefangen und keine weitere Geschichte damit.
Das Bewußtsein oder das subjektive System ist, um es mit dem Bilde zu nennen, das Descartes selber, im ersten Absatze des zweiten Teils, bemüht, eine Stadt mit verwinkelten Gassen, immer wieder, auf Ruinen errichtet, durch Traumata abgebrannt und bewohnt von zahlreichen Personen, die versuchen, die Wege und Gebäude zueinander passend zu machen, ohne aber einen einzelnen Plan zu haben, oder die Kraft, die Stadt als ganze abzureißen und neu zu bauen. Denn eben dazu sind die Willen zu verschieden, und das Fundament ja nicht nur meines, sondern auch durch das gegeben, was Natur und Sprache, Musen und Verstand mir gaben, und was ich selbst kaum verstehe. Darüber erhebend nun zu sagen, ich möge meinem Denken neue Fundamente geben, alle meine Gedanken neu begründen, ist reichlich vermessen. Aber wie kommt er dazu?
Ich denke, man kann den Streit leicht beilegen, wenn man nur den Unterschied beachtet, ob man das genze ideel oder real meint. Mir scheint aber, um das zu erklären muss ich eine besondere Unart, die häufig eben hier besteht, kritisieren, und der ich allgemein den Namen Reduktionismus geben will, genauer aber in zwei Unterarten unterscheiden will; eben da die zweite, die zumal gewöhnlich seltenere, hier das eigentliche Problem ist und das woran es mich stört.
Ich unterscheide zwischen mereologischem und kategoriellem Reduktionismus. Mereologischer Reduktionismus hat die Form: A besteht aus Bs, also gibt es eigentlich kein A, sondern nur Bs. Kategorieller Reduktionismus hat die Form: A, B sind X, also gibt es eigentlich nur X, keine A oder B. Beide reduzieren also das was sein soll, dabei die eine Variante nach dem, woraus etwas ist, was seine Teile sind, die andere nach dem, was für eine Sache diese sind. Zwei Beispiele: es ist mereologisch reduktionistisch zu sagen, es gebe eigentlich keine Lebewesen, nur Moleküle, oder keine Dinge, sondern nur Prozesse; es ist kategoriell reduktionistisch zu sagen, wir seien ja alle Menschen und deshalb nur akzidentiell verschieden, oder alles, was ist, sei bloß Seiendes, und daher dasselbe und Eines. Ich halte dies beides für falsch, und sogar für offenbar falsch, aber eben deswegen will ich es nicht vertiefen, da ich eben nur dies, dass ich es für falsch halte, wiederholen würde (in etwa der Form, andere Arten der Konstitution als bloß der Mereologie als Menge, und andere Arten der Substantialität als der Kategorie zu nennen, was alles ebenso unoriginell wie uninteressant ist, zumindest für die Frage, die ich in diesem Text besprechen will; ich mag es anderweitig und gesondert darstellen, aber das ist für eine andre Zeit). Das beides aber auf richtiges hinweist (dass das, woraus etwas ist, von Bedeutung ist, und dass alles, was unter einer Kategorie steht, insofern dasselbe ist und _darin_ gleich) ist dem unbenommen.
Der Reduktionismus der Cartesianischen Fundamentalkritik liegt darin, das Bewußtsein mit der Kategorie des Bewußtseins, das Wissen mit der Kategorie des Wissens, und schließlich das Denken mit der Kategorie des Gedankens zu verwechseln (wo sogar noch die falsch Kategorie einzug hält, siehe den Wechsel von cogito zu cogitatio). Um es einfacher zu sagen: es ist völlig richtig, dass ich das Wissen davon, was Wissen überhaupt ist, und was Bewußtsein überhaupt ist, auf neue Grundlagen legen muss. Das ist aber etwas ganz andres, als jedes einzelne Wissen auf neue Grundlagen zu legen. Denn es ist durchaus nicht so, wie Descartes behauptet, dass jegliches Wissen darauf beruht; sondern umgekehrt beruht die Kritik am Allgemeinen, und durch das Allgemeine, auf dem Konkretem, was dem Allgemeinen Vorher und Nachher als Beispiel dienen kann und muß. Die allgemeine Betrachtung trifft also alles Wissen, insofern es Wissen ist; aber nicht jedes substantiell als ganzes, sondern nur in der Allgemeinheit, die in ihm liegt. Ich kann fragen, warum ich überhaupt etwas weiß, und das ist eine wichtige Frage; sie ist aber nicht dieselbe Frage, wie etwa, warum ich weiß, dass 17 eine Primzahl ist. Natürlich muss ich, um das letztere zu beantworten, auch beantworten können, wie ich _das_ überhaupt wissen kann; aber das ist ja eine ganz verschiedene Frage davon, wie ich überhaupt _irgendetwas_ wissen kann. Und mir scheint es doch sehr zweifelhaft, dass hier das allgemeine das konkrete begründen kann, sondern es scheint eher eine doppelseitige Bewegung zu sein: dass allgemeine bestimmt sich vom konkreten her in Abstraktion und Verallgemeinerung, sieht dann aber in dieser Abstraktion die Grenzen gewisser Prinzipien und gibt diese Grenzen und Zweifelhaftigkeit ins Konkrete zurück. Aber ich kann ja, selbst wenn das Allgemeine ganz zweifellos ist, nicht das Konkrete begründen, eben da die Umstände fehlen. Selbst wenn ich wüßte, wie ich überhaupt und allgemein etwas wissen kann, wüßte ich daher nicht, warum 17 eine Primzahl ist, ebenso wie es jetzt umgekehrt wirklich der Fall ist, dass mein Zweifel im allgemeinen meiner Fähigkeit, im Konkreten den Beweis zu führen, keinen Abbruch tut.
Die Gleichsetzung dieser Elemente liegt also darin, die Kategorie mit dem, was darin ist, gleichzusetzen. Man könnte plakativer sagen, dass Descartes eben Architekt des Geistes ist, und kein Bauarbeiter, und dabei eben das konkrete des Denkens leichthin vergessen hat. Aber damit würde man ihm zu leicht tun, denn er hat ja in der Mathematik einiges wirklich erwirkt. Es ist denke ich eher so, dass er eben im Allgemeinen einen neuen Entwurf gewagt hatte, und aber dachte, es sei damit im Konkreten schon getan; und es klingt ja doch eben schöner zu sagen, man müsse mit allem Wissen neu anfangen, als nur, über die Kategorie von Wissen und Wahrheit und Gedanke, und wie also wir unser Wissen und unsere Gedanken und die Wahrheit, die ja doch damit gemeint sein soll, auf den Begriff bringen. Aber nichts anders tat er ja, und das nehme ich ihm ja doch nicht übel, wohl aber, so großspurig gesprochen zu haben, dass alle Gedanken damit schon auf eine neue Grundlage gelegt worden seien, wenn gleichfalls nur eine Kanalisation renoviert worden ist, und die meisten Häuser davon nichts mitbekommen. Die Wichtigkeit dieser Renovierung ist ihm auch nicht abgesprochen, und ebensowenig die gütlichen Auswirkungen, die eine wirklich gute Fundamentalausstatttung dem Denken antun kann; aber das ist ja doch etwas andres, als neu anzufangen, da ja das alte Haus immer noch steht, und nur der Boden ausgewechselt wurde, und also auch alle Verwinklung, alles absurde was im Denken sich über die Zeit anhäuft, und was es selbst nicht loswerden kann, eben da es selbst Maß ist vom Absurden und Schönen oder vom Korrekten und dem Irrtum, den es sehen will, beim Denklichen und beim Unverständlichen im selben maße, da es von diesem beiden selbst das Maß und Muster ist.
Von hier ist leicht zur politischen Kritik überzugehen, die sich nun vielleicht auch verständlicher machen lässt. Descartes Fundementalreformrede ist leicht mit der Idee der Verfassungsreform vereinbar, wie sie seit dem 18. Jahrhundert existiert, und als Revolution bezeichnet wird. Auch hier ist meine Kritik keineswegs die, dass nichts umgestaltet werden sollte, sondern dass die Umgestaltung des Ganzen und aller Teile ja doch verschieden ist. Das Wirtschaftssystem zu ändern, oder Wahl der Politiker einzuführen, ist keine Änderung aller Elemente der Gesellschaft. Es wird hier nicht einfach _neu begonnen_. Wir können heute ja auch sehen, dass die Jahrzählung nach 1789, wo 1790 dann als Jahr 1 bezeichnet worden, falsch gewesen ist, in dem Sinne, dass es die Geschichte dieser Veränderung selbst verdeckt, und damit auch den Bonapartismus erst möglich gemacht hat. Aber ich denke, dass dies eben dieselbe Großspurigkeit ist wie bei Descartes selbst, und dass sie dort genauso wirkt, wo man die politische Geschichte mit dem Sturm der Bastille ansetzt, wie dort, wo die moderne Ideengeschichte mit den Meditationes oder dem Discours beginnt; denn neu angefangen haben beide nicht, oder nur insoweit, wie sie das vorherige vergessen wollten; und durchgesetzt hat sich dieses eben in dem Maße, indem wir das, was vorher war, wirklich vergessen haben oder nie gelernt, es zu verbinden.
Eine Fundamentalreform, eine absolute Revolution ist unmöglich. Jegliche Änderung ist Änderung einer Sache in einer gewissen Hinsicht von einem zu einem andern Zustande; sie ist keine creatio ex nihilo. Dass wir die Ursache, oder was daraus wird, nicht immer genau kennen, ändert nichts daran. Wenn die ganze Gesellschaft im Aufbruch erscheint, ist sie eben in Veränderung, nicht im Neubeginn; ihr Neubeginn wäre der Stadtbrand, die Zerstörung und das danach liegende Trauma, wonach man besser einmal neu beginnt und neue Häuser auf neuen Fundamenten baut. Das ist offenbar kein politisches Programm, oder zumindest kein vernünftiges. Stattdessen wird eine andre Sache - nämlich eine teilweise Renovierung - als totale Revolution verkauft, womit man zweierlei bewirkt: dass diejenigen, die wirklich den Brand und die Gestaltung am Reißbrett wünschen, sich dessen bemächtigen, und daher die Rhetorik rauher und unverträglicher wird; und dass alle andern von einer Sache, die vielleicht wirklich etwas vernünftiges gewesen wäre, abgestoßen sind durch diese Bezeichnung.
Mir scheint diese spezielle Idee von "Revolution" - die ja noch immer die Art bestimmt, wie man über 1789 oder 1917 nachdenkt - auf der Idee der Fundamentalreform des Wissens als Wahrheitskritik begründet. Alle solche Revoltionen sind cartesianisch, und sie begehen alle eben diesen Fehler, die Kritik an der Totalität als Begriff mit der Veränderung von allem in konkreter Realität gleichzusetzen, und das Ganze verändern zu wollen, indem man alles verändert. Aber das Ganze ist eben nicht Alles, und Alles ist nicht nur Teil des Ganzen; dies eben sind die beiden Arten des reduktionistischen Irrtums; und so nimmt es meiner Ansicht nach kein Wunder, dass die 1917 enstandene Sovietunion staatskapitalistisch war, die 1789 entstande westliche Demokratie in vielen Punkten feudal, und das 1619 enstandene Fundamentaldenken des Neubeginns in vielem, und vor allem in jenem Denken, dass omnis mit totus kurzschließt, charakteristisch scholastisch. Das tragische ist, dass eben jene Kontinuität, und darin mögliche subjektive Kommunikation von Erinnerung in Veränderung, verdeckt wird durch die Behauptung, der veränderte sei neu, und alles jenes, was in neuer Umgebung bewegt worden war, selbst etwas neues und völlig unverwechselbares.