Über Identifikation und Abgrenzung des Selbsts,

oder über die Konstitutionsleistung im Akt des Idenfizierens mit einem Anderen. Hypatia von Sva.

Über den Begriff der Identität etwas sinnvolles und gar neues zu sagen hat immer dies schwierige an sich, entweder sich in den Höhen absoluter Abstraktion zu verlieren, oder so in Klischees zu bleiben, das das konkrete Ziel, was damit bezweckt worden war, in seiner Wahrheit über das falsche in den Mitteln kaum noch sichtbar hervorragt. Ich will darum versuchen, gerade nur so viel abstrakte Theorie zu bemühen, dass das Konkrete der Bemühung sichtbar wird, und sie weder durch die Theorie noch durch ihr Fehlen und dessen Unangemessenheit verdeckt werden möge.

Identität ist das In-eins-Sein zweier Dinge, ihre Gleichheit oder das gleich-sein-sollen. Das identische hat immer dies merkwürdige an sich, das als gleich gesetzt wird was nicht dassselbe ist. Das ist schon in der Sprache so: auch "A ist A" sagen setzt zwei As gleich, die ja nicht dieselben sind; auch Tautologien sind nicht selbst trivial, sie bezeichnen nur eine Trivialität. (Und in diesem Sinne ist ja der Nachweis, dass etwas so ist wie eine Tautologie, erst ein indirekter Hinweis auf seine Wahrheit, wie in allen mathematischen Beweisen durch Äquivalenzen, an deren Ende x = x steht; erst dies Ende zeigt auch den Anfang als inhaltlich offenbar, während die Form, vom Anfang bis zum Ende, über das triviale eines bloß gesetzten x seine Wiederholung, als immer komplexeres x = x, bedeutet.) Jede sprachliche Aussage, die auf die Substanz [aus] ist, sagt ja dasselbe. Ich sage: dies ist ein Haus; und setze damit das "diese" unter den Begriff des Hauses. Ich "identifiziere" es als Haus. Aber ich identifiziere es nicht mit der Idee des Hauses, und diese auch nicht mit der Idee dieses Hauses. Das gleich-sein-sollen ist immer eine Gleichheit in gewisser Hinsicht. Ihr inquantum ist gerade der Begriff der Wahrheit des So-Seins; Identität bezeichnet damit immer dies beides: eine Identifikation eines _mit_ einem anderen, und _in_ einer gewissen Hinsicht, darin es identifiziert bleibt. Selbst die Identikation des Einen hat dieses ja, wie seit dem Parmenides Platos bekannt ist; auch es ist nur es selbst, wenn es nicht mehr ganz Eines ist, sondern es selbst und sein Sein. In diesem Sinne schreibt der Akt der Identifikation des Einen mit dem Andern diesem erst zu, dass es nicht nur Eines, sondern Seiendes Eines ist; es ist _in Hinsicht auf die Identifikation_ schlechthin, kann man auch sagen, dass das Eine mit dem Seienden identifiziert ist; und umgekehrt ihre Trennung gerade darin besteht, dass eine Identifikation abgelehnt wird, die ohne Hinsicht und ohne Bezug auf das Bezeichnete selbst gerichtet wäre, was in der Tautologie noch ein von sich verschiedenes ist.

In der Betrachtung, in der von Identität aber weit mehr zu hören ist als in der des Seienden oder des reinen Einen, nämlich der des für-sich-daseienden Bewußtseins seiner selbst, nimmt sich dieses alles deutlich schwerer aus. Das Selbst ist für sich notwendig ein Anderes, was es zu sein hat. Schließlich bin ich, wenn ich mir mich selbst vorstelle, nicht dieses, was ich da vorstelle. Wenn ich dennoch die Wahrheit der Identifikation einfordere, dann muss eine Seite verschoben werden: entweder ich übersehe mich vor meinem Selbstbild, und "identifiziere" mich durch eigene Objektifizierung mit einem Gedanken dessen, was ich sein solle; oder ich übersehe die Verschiedenheit des Bildes, und denke, dieses selbst würde die Änderungen vollführen, die ich zu dessen Korrektur an ihm vorzunehmen habe. In jedem Falle sind beide Seiten endlich, aber aus andern Gründen: das Ich, was denket, ist endlich darin, dass es nicht vorkommt vor sich, anderes sucht, aber sich nie anders findet als in der _Form_ des Denkens, die ja doch nur in der Gesamtheit der Gedanken, und damit immer unabgeschlossen, ihm vorliegt, und damit formal nur als dieses Sich-nicht-kennen, als tastendes Suchen nach einem Randpunkte, beschrieben werden kann; und das Sich, das Selbstbild darin, ein solches Produkt der Selbstbeobachtung zu sein, dass es vollständig und wirklich seiendes ist erst dann, wenn es vom darüber hinweg gehenden Denken und Vernehmen bereits widerlegt worden ist. Das Denken und seine Abbildung sind in jedem Momente widerlegt, und doch bedingen sie einander. Beide nämlich sind sowohl endlich als auch unendlich; sie sind endliche, partikuläre Repräsentationen des Unendlichen des Bewußtseins-für-sich: das Ich in dem einen Akt, der alles Sein bedeutet; der Gedanke des Selbst und die konkrete Repräsentation im Körper als die dauernde, immer weiter interpretierbare Ansatzstelle, die aber endlich ist in dem falschen Urteil, die er dem Ich damit abverlangt, ihn zu Ende zu denken und danach ja immer noch über anderes zu denken, und dabei vorher dieses nicht gedacht zu haben; d.h. eine Form aufzustellen, ohne mit den Examplaren, die sie erst konstituieren, fertig sein zu können.

Wenn das Ich-bin-Ich Grundlage allen Wissens ist, wie Fichte einst meinte (und denke nicht, dass er ganz Unrecht hatte), dann müssen wir uns ja aber fragen, inwieweit alles Wissen und Denken jene Endlichkeit mit in sich aufnimmt, die in der Annahme des Selbstbildes vorhanden ist. Wenn ich wirklich mich nicht als mich selbst denken kann, außer in der Annahme einer falschen Verkürzung, dann kann ich überhaupt "Wissen" nur begreifen in der Verkürzung von Wissensakt, oder Denkakt, mit dem Ergebnis, oder dem Gedanken als vergegenständlichte Form der Konstitution seiner Realität. Das "Wissen" einer Sache ist dann der Überrest an ihr, dass ich sie, so wie ich sie denke, eben irgendwann einmal anfänglich gedacht hatte, ohne zu wissen, diese, als solche Sache, gedacht zu haben, und sie erst als offnen Gedanken betrachtete; so wie die Farben erst das Leuchten sind, und dann die Messungen auf dem Farbenkreise.

Hier nun können wir den Brückenschlag zur Pluralität, und dem, was in ihr als "Identifkation" gedacht ist, schlagen, nämlich bei der Frage der Prozessualität des Wissens, und ob mit der "Amnesie", die mit ihr häufig koinzidiert, nicht vielleicht etwas analoges gemeint ist wie eine Öffnung der Methode des Wissens zu ihrer ursprünglichen Konstitution. Wenn Ich-bin-Ich Grundlage eines verständlichen, einfachen Wissens ist, wird das Ich-bin-nicht-Ich zu einer Art Un-Wissen, aber hier thematisch, nicht als bloßen Mangel (so wie das Untote als nicht schlechthin lebendiges). Das Un-Wissen legt seinen Wissenscharakter ab, wird aber nicht Mangel an Information, sondern ihr Überfluss. Indem ich das Ich = Ich zerlege in "Eines Ich = Anderes Ich", wird mir der Widerspruch in der Tautologie des Selbsts klar. Dieses Ich, was ich bin, bin ich auch nicht. Es ist ja nämlich für den andern in mir auch nur ein andrer.

Um es klar zu sagen, wird hiermit keine thematische Herleitung unterbrochen; das X = X gilt weiterhin, nur jetzt umgewandelt in ein X1 = X2. Die Reflektion der Identität wird umgekehrt, und nähert sich der Implikation an (so wie umgekehrt in der rein formalen Logik diese ja auch eine Art Gleichung ist). Programmatisch ausgedrückt, wird das Ich als l-value vom r-value verschieden, wird seine Bedeutung als Prädikat vom Subjekt getrennt. Das Ich, was sich denkt, ist das andere als sein Inhalt, so wie es auch von andern Sich und Ichs gedacht worden ist. Die Tautologie des Denkens seiner wird damit zur dynamischen Kategorie der Identifikation des Gedankens mit sich, oder des suchenden einzelnen Andern in sich nach seinem Platz, er zu sein; es wird zum Prozess, einen Fronting-Platz für das Ich, was man schon ist, erst noch zu suchen, und dabei eine adäquate Verbindung, d.h. eine passende Relation von Äquivalenz oder Gleichheit seiner mit sich überhaupt erst herzustellen. Mit andern Worten: die Identifikation des Ich verliert seinen Charakter als Äquivalenz(relation) als natürlichen Charakterzug, er bleibt nur künstlich oder zufällig dort vorhanden, wo der Widerspruch und das Überlappende des Gedankens des Selbsts nicht zu Tage tritt. Diese Verborgenheit des Widerspruchs des Ungleichen im Ich ist das entscheidende Kennzeichen des (realen oder maskierten) Daseins als Einzelner, als Singulärer Subjekt-Person.

Es gibt hier eine interessante Übereinstimmung von pluraler Fusion, singulärem Masking und der Hegel'schen "Versöhnung" der Geschichte in der Überwindung des Andern durch Integration in sich und gedankliche Aufhebung. Die plurale Position ist in gewisser Weise anti-synthetisch; oder sie ist Synthese nur soweit, wie das synthetisierte nachher immer noch getrenntes Gemisch, Opposition, Antinomie, nicht versöhntes und einfaches Ergebnis ist. Der Widerspruch der Pluralität ist demnach nicht allein nur Widerspruch gegen eine bestimmte Disziplin, einer gewissen psychologischen Denkweise, sondern Widerstand gegen den Satz des Widerspruchs selbst; ein Widerspruch, der selbstbewußt leben will, ohne sich aufzulösen oder aufgehoben zu werden.

Der in der Schwebe gehaltene Widerspruch des Selbsts ist ein andrer als der des Selbst mit Andern, in äußrer Kommunikation, oder sogar als der mit den andern in sich. Das was hier gleichgesetzt wird ist das "Ich" als Sprechfunktion, oder man könnte sagen der Frontsitz, mit dem darin Sprechenden, dem "Ich" das das "Ich" jeweils ist. Zwischen Altern und sogar zwischen externen Personen, in intentionaler oder symbolischer Kommunikation, kann sich aber nun eine andre Art "Identifikation" ergeben, und diese verdeckt meiner Meinung nach eher die eigentliche konstitutive Leistung des Ichs von sich, indem es sie mit einer häufig viel einfachereren, und leichterhin unternommeneren Übertragungsleistung zusammenstellt, als dass es sie erläutert.

Denn was ist das für eine Identifikation? Ich denke ich wäre einem andern gleich. Ich sehe einen andern, und sehe, diese Person tut ähnliches, denkt ähnlich usw. Was hier passiert, ist im Grunde ein Vergleich der gewissen Denkinhalte, die jenes "Ich", was ich bin, ja auch hat. Die "Identifikation" setzt nicht mich, sondern den gewissen Alter, der ich bin, mit dem andern gleich. Auch bei singulären Subjekten ist das so; man kann das auch damit ausdrücken, dass man das Formale am ich, dass ich es eben _bin_, es nicht _ist_, übersehen muss, ich mich wie von außen ansehen muss, um den Vergleich und damit die "Identifikation" vorzunehmen. Ich muss mich bereits als "etwas" ansehen, um micht als dieser jemand mit einem andern jemand gleichzusetzen; als formales Ich-Denke, als Akt und Prozess wäre dieses ja auch kaum möglich. Aber es ist gerade dieser Widerspruch, lebendiger unendlicher Prozess _und_ endliche bestimmte Person mit gewissen Eigenschaften zu sein, die jene abstrakte Frage des Identifizierens-mit-sich ausmacht, nicht die Frage, welche Eigenschaften ich eben gerade an den Gestaden jenes bestimmten Selbst würde ausmachen können.

Aber dennoch entsteht ja darin ein Ich - ein andres Ich, eines, was durch das andre konstituiert ist als Andres außer mir, nicht in mir oder als mich. Dieses Andre Ich (kein andrer Alter, sondern eine andere Funktion desselben Ich das ich bin) nenne ich die Spiegelung meiner in mir, mein Schatten, oder das Selbst in der Allgemeinheit des Was-ich-bin (im Gegensatze zum Wer-ich-bin, welches nur ich selber bin und kein von mir ausgehender Schatten, und zwar auch zweimal auftritt, material und positional, aber doch beides von der Seite dieses Ichs, das ich bin, als Person, und d.h. von der Position her und nicht von der darin erfassten und gedanklich zu wiederholenden Materie). Es ist jenes Ich, was dem Ich eine andre Option gibt als nur die leere Beteuerung, sich durch Nähe zu kennen, oder an sich zu verzweifeln, nämlich die Idee des Ichs als konkretem Wissen, als Wissen einer Konkretion allerdings die ebenso falsch ist, wie das konkrete, was sie repräsentieren will, aber dieses dadurch, dass es das methodische Ich der Betrachtung in einer Metasprache weit weg vom Inhalt, der ja aber doch dasselbe sein soll, betrachtet, übersehen muss, und vielleicht sogar doch der Annehmlichkeit eines klar gekannten, umgrenzenten und umpflegten Ichs sogar etwas übersehen will.

Die eigentliche Form dieser Identifikation ist eine Subsumierung unter einem Begriffe; Ich als Beispiel. Das kann aber nur für das Was-ich-bin funktionieren. Indem aber das Wer-ich-bin und die Perspektive und das Subjekt des Wissens aus der Sicht verschwunden ist, wird die Subsumption möglich, aber um den Preis, dass dies verschobene Element der Position des Beobachters als allgemeine Wahrheit der Gesellschaft wiederkehrt: _man weiß_ ich bin dieses und jenes, und ich weiß's als Beispiel eines man. Das passt auch für den Übergang zu einer Idee äußrer Identifikation, die von der Ebene des Subjektiven zu der des Sozialen und Kommunikativen übergegangen ist.

Pluralität, und die Identifikation mit dem andern Alter, hat ihre Komplexität in der Mittelstellung zwischen diesen. Die Identifikation mit der Sicht des andern Alters auf mich ist nicht rein symbolisch, sie enthält den Widerspruch des Ich-bin-Ich selbst in der innern Vermittlung von Gedanke und Erinnerung. Und sie bringt auch in die äußre Identifikation mit dem Andern diese Formalität erneut mit hinein, dass mit dem Andern Identifizieren auch das nicht-identifizieren mit sich gehört, und das Un-Wissen des Selbst. Introjektion ist die Dialektisierung sozialer Identifikation; es ist die Spiegelung von glatter Dialektik in ontologisch widerständiger Antinomie.