Über das ästhetische und politische Totalitätsbedürfnis und die Idee der Identität.

Einige polemische Anmerkungen zur Einheit des Seins.

Hypatia von Sva.

Dass alles zusammengehöre, ist soweit Klischee, dass man es kaum sagen will; und man ja auch immer fragen müsste, ob, wenn es nur zusammengehöre, es das auch sein will oder je nur schon zusammen ist, oder ob es sich nur so gehörte; und der Weg ja auch weiter nicht weit zum Irrtum, dass alles dasselbe ist, wenn ja eigentlich nur gesagt worden, dass alles unterm selben in gewisser Weise sei, und ja dabei weder die Weise noch das Ganze, was als Menge bezeichnet ist, irgend genauer ausgedrückt, und dabei auch den falschen Reduktionismus, dass es als eines-unterm-ganzen mit dieser seiner Kategorisierung identisch zu sein hätte, keineswegs notwendig gemacht hätte.

Der spezifische Begriff aller dieser Dinge - des ganzen, was zusammengehört, und die Art des Zusammenhangs als eines gewissen Gleichseins, einer Identität inquantum einer bestimmten Eigenschaft, die gerade dabei das Ganze bezeichnet - ist aber gar kein andrer als ein Begriff der Beziehung des Denkens auf diese Dinge, mit andern Worten, es ist ein Motivationsbegriff.

Unter den Elementen des Ichs der subjektiven Systeme ist es das vierte und letzte Element meiner Betrachtung, das des Eros, das den Zweck seiner Ausrichtung bezeichne. Jedes solche Ich hat so ein Element, neben den andern Richtungen, der Ousia, der Noesis und dem Logos, oder man mag auch lateinisch sagen von Realität, Imagination, Form und Appetition, oder verdeutscht vom Wesen, Vorstellung, Begriff und Verlangen. Dieses sind natürlich nur vier Elemente, die ich zu unterscheiden pflege, und man könnte noch mannigfaltig andere Momente am Ich herausnehmen, um es je, nach seiner subjektiven sich-für-sich-bewußtmachenden Art eines bestimmten Alters, sich für sich und für uns vorstellig zu machen. Wichtig ist hier also nur, dass wenn ich vom Eros oder dem Verlangen rede, ich kein wesensmäßiges meine, wo ich erkennen würde was ich wahrhaft bin, dass ich wahrhaft Wille wäre oder dergleichen; oder einen bestimmten Gedanken; oder eine bestimmte Form meines Denkens und Lebens; sondern Verlangen ist hier rein ein Zweck, eine gewisse Ausrichtung meines Denkens und Lebens dahin, aus gewissem Grunde überhaupt dieses zu tun, von denen es, wie dargestellt, mehrere gibt, die alle sehr wohl berechtigt sind.

Wir können hier also entgegen der allzu schnellen Gleichsetzung vom Totalitätsbegriff mit seiner politischen Deutung direkt sagen, dass die andern Varianten der Totalität etwas andres bezeichnen; und während das etwa für die Kontemplation recht klar ist, und auch das Universum als Totalität wissenschaftlicher Untersuchungsobjekte kaum mit der reinen Spekulation über's Sein oder mit politischen Abenteuern verwechselt werden sollte, so ist es anders bei den zwei ganz benachbarten Betrachtungen, in denen es im weitern Sinne um das Gute handelt, nämlich zwischen der äathetisch-erotischen und der politisch-moralischen Ausrichtung des Denkens (deren beide Seiten ich hier bewußt neben einander stelle, da sie noch weiter zu trennen das weitere umso unmöglicher machen würde, mehr als es ohnehin erscheint).

Die politische Totalität ist vorzüglich die einer Gesellschaft, die als zusammenhängend gedacht wird für den Zweck der Einrichtung nach gewissen Zwecken oder Interessen. Er ist, beachtlicherweise, anrüchiger als der der Identität, obwohl ja Identität Totalität voraussetzt und sie sogar weiterführt ins gleichsein unter dem Begriff, ein Gleichsein was gerade die "Integration", d.i. die Selbstunterwerfung unter dem gesellschaftlichen Mechanismus bezeichnet, Dagegen ist die ästhetische Totalität die einer Darstellung oder Repräsentation des Ganzen, das außerhalb der Darstellung blaibt; allerhöchstens wird die Darstellung reflektierend in sich zurückgenommen, nicht aber in das Ganze, was sie, darin sie doch ist, ebenso darstellen will. Man könnte grob sagen, dass es sich also um die Differenz zwischen der Realität und der bloßen Idee davon handelt, was die Welt als ganze ist. Aber so leicht ist es indessen damit nicht, die Kunst nicht so rein in sich, und auch das äußre nicht so unberührt davon. Das muss genauer dargestellt werden, und auch, was es damit jeweils für den Identitätsbegriff und seiner hauptsächlichen Anwendung in der Verinnerlichung, im Gleichsein seiner mit sich, bedeutet.

Bei sich selbst zu sein oder mit seinesgleichen ist offenbar nicht dasselbe, auch für denselben oder dieselbe nicht. Gleichsein oder Identität, um damit anzufangen, hat immer dies ambivalente, dass es das gleichsein einer Sache mit sich, und damit den substantiellen Gehalt der Sache, oder nur eine Relation bezeichnet, die eine Sache gegen die andern auszeichnet, eben sie selbst und keine andre zu sein. Bei der Person bezeichnet das den Unterschied von materialer Geistigkeit und Positionalität, die auch jeweils nochmal im System voneinander unterschieden ist: ich selbst, als Alter, bin vom Inhalt her eben meine Gedanken und Ideale, von der Position her aber dagegen gewisse Unterschiede zu andern, oder eine gewisse Perspektive; die Position dagegen, die das System als ganzes und ihm gewisse Front- und Hintergrund-Positionen bezeichnet, hat auch für sich eine noch formalere Seite (dass ich Ich bin etc.), sowie eine materiale, die so etwas wie die inhaltliche Dynamik der Präsenz (und damit das eigendynamische des Körpers und des ausgezeichnet unbewußten oder von außen hereinkommenden etc.) bezeichnet. Die künstlerische Identität, die auch wesentlich die der Erzählung und des andern als meines Eindrucks von ihm bezeichnet, ist daher eine viel reichere, aber auch weniger anwendbare, als die politische, die nur diese Relation bezeichnet, ob ich mit dem andern gleich bin oder nicht. Somit könnte man sagen, dass Politik zwar nicht unmittelbar eine Relation von Freund und Feind ist, wie einst Schmitt meinte, aber doch zumindest vom Identitätsbegriff nur das verschieden oder gleichsein denken kann, nicht den Unterschied als verbindendes, da die Verbindung hier ja gerade in der Aktion des Zusammen-Handelns, nicht in der Erfassung des Unterschieds gesucht wird, wie es sich die passive Betrachtung erlauben kann. Die Kontemplation erfasst daher diese Differenz auch nicht ganz wirklich; diese Einebnung, noch den Abgrund als Verbindendes zu nehmen, uns alle als Kinder des Abgrunds durch den Fluch hinüber als Verbundne vorzustellen, macht das unheimliche der künstlerischen Harmonie der Erzählung aus, die eine noch so absurde Situation darstellt, als ob sie wirklich jemand erzählen könnte oder überhaupt als ganze vorstellen, und dabei die Position des andern, und nicht nur seine eigne Projektion desselben, wirklich darstellen und verstehen.

Identität in der Politik ist wesentlich ein Machtinstrument, und bewegt sich daher ganz ungeniert zwischen tiefer Persönlichkeitslyrik und der plumpen Feststellung von Personalien. "Feststellung" hat hier auch bekanntlich den doppelten Sinn der Konstatierung und der Erzeugung von Fakten. Vor gemachte Tatsachen gestellt zu werden ist dann auch der hauptsächliche Zug von Verwaltung, und von dem tatsächlichen Publikum der Politik, der Juristen, auch vor sich selbst; sie hat sich das geschaffen, was sie selbst nicht als von sich geschaffen, sondern nur als für sie geschaffen, aber als faktisches, begreifen kann. Ihre Totalität ist das von ihr geschaffene, was als natürliches erscheint. Dagegen ist es in der Kunst genau umgekehrt: die Erscheinung des gewöhnlichen, sogar der Zug der Wahrheit, erscheint als Fiktion, weil Namen erfunden wurden für bekannte Prozesse in der Welt. Selbst die Mythologie funktioniert nach diesem Schema: das einzig erfundene an der griechischen Tragödie sind die Namen ihrer Darsteller; die Sache, die das Leben selbst darstellt als eines mit sich zerrissenen, ist echt, und die Namen und Orte daher nur Verschleierung, dass die Erzählung weniger weit weg ist als die Geschichte unserer Welt, so wie wir sie dagegen setzen.

In allen diesen Bereichen - und man könnte noch weitere daran setzen, etwa den metaphysischen Begriff der Einheit aller Dinge in der Natur, so wie man ihn bei Spinoza und in gewissem Sinne sogar schon bei Parmenides und Heraklit finden kann, oder den sprachlichen Sinn der Einheit aller Dinge im Ausdruck, d.i. als Semantik zu einer dann als einheitlich denkbaren Sprachform, oder den erotischen Sinn der Vereinigung als Erlangung der Schönheit, der aber weit weniger als künstlichere Sinn die Herstellung einer Totalität durch Einblendung des Differenten, sondern durch Vergessen der Welt vor dem Hintergrund der anwesenden Göttlichkeit des Guten ist als Erfüllung einer Totalität, die nichs weiter als sie selbst braucht, und schon im endlichen sich genügend ist und gewissermaßen causa sui et alterius, usw. - zeigt sich also, dass die Idee einer Vereinheitlichung gar nicht selbst das große Problem ist, sondern die Idee, diese Einheiten einander gleichzusetzen. Die politische Gewalt des Totalitätsbegriffs liegt in der Ausdehnung des spezifisch politischen Totalitätsbegriffs auf andere Bereiche, sei es Natur, Kunst, Religion oder Erotik, nicht der politische Begriff selbst, der ja zum Beispiel, was die Unterschiede zwischen den Parteien betrifft, wo man ja ziemlich schlicht zwischen dem eignen und fremden unterscheiden kann und muß, seine rechte Anwendung hat, die man sich nicht dadurch verderben lassen sollte, dass er andernorts zur falschen Machtfülle missbraucht worden ist. Ganz im Gegenteil ist die Abkehr von diesem Begriff, der Rückfall in die local communities, eine ungeheure Gefahr einer andern Totalisierung, nämlich der Politik insgesamt und des politischen Willens durch sogenannte "natürliche Gesellschaft", die immer schon selbst politisches Projekt von Leuten ist, die ihre Zwecke verdecken wollen mit der Lüge, dass sie keine hätten. Ob das äußre hier Natur, Religion, Wissenschaft, Kunst oder reiner Wille heißt, ist gleich unbedeutend; es ist wiederum eine falsche Anwendung der einen Totalität auf die andre. Keiner dieser verschiedenen Totalitäten ist denn also zu entkommen, sondern die Frage eher zu stellen, wie sie koexistieren können, wie ich verschiedne Begriffe, die gleichermaßen alle behaupten, das ganze zu sein, miteinander denken kann. Und dort nun denke ich kann ich zurückkommen auf den Subjektbegriff, in dessen systematischer Ausarbeitung, als mehrere Ich und ihrer konstitutiven Elemente enthaltend, ich ja dies Verlangen zu wissen überall erst gefunden habe, und nun daher wieder zurück finde zu dieser Frage, wie ein Anspruch des Ganzen, der zugleich aber beschränkter Teil sein soll, in ihm gedacht und fundiert werden könnte.

Wie ich an anderer Stelle bereits ausgeführt habe, ist das allgemeine und das einzelne im Ich koexistent; es ist seine eigene Universalität als partikuläre, oder es das Ganze nur unter anderem. Ich bin also zum Beispiel Forscher, Mensch mit Nahrungs- und Schlafbedürfnis, juristische Person und Wirtschaftssubjekt, von gewissem Alter, und überdies das Ganze des Seins. Diese Aufzählung mag merkwürdig erscheinen, sie ist aber beileibe ehrlicher als jene Verabsolutierung des Seins, die es jenseits auch nur des Bereichs gedanklicher Erfassung positioniert. Auf diese Weise aber ist das Ganze aber auch immer partikulär, aber eben nicht partikulär in der Art einzelner, oder unverbundener Gedankengänge. Es ist nicht so, dass ich und andere nur Erscheinungen sehen, und die wahren Dinge und daher auch unsere Korrelationen auf diese untereinander nie je würden verstehen können, sondern die Dinge selbst erscheinen uns, und wir können zwar nie ganz genau wissen wie sie übereinstimmen, aber dass das, was dort erscheint, nicht einfach irgendein X ist, scheint mir doch eindeutig; und ebenso sind es eben verschiedene Arten des Seins, die am selben Seienden hängen, und deren Koinzidenz wir nicht genau wissen aber ja doch denken können, und uns nicht damit beschränken müssen zu sagen, dass ein andres Sein als das Sein, oder ein andres Ich als das Ich, denkunmöglich wäre.

Die Notwendigkeit zur Akzeptanz des Andern ist denn also auch nicht vorhanden. Der Drang zum andern Ich ist kein epistemischer, sondern ein ethischer; dass gilt nach innen wie nach außen, und für die Frage der bloßen Existenz des Andern ganz gleich wie für die Frage, wer, welche oder was dieses denn nun sei, wonach also auch die Frage nach dem Wesentlichen, die ja doch den Kern der traditonellen Kategorientheorie ausmacht, im wesentlichen als ethische Frage nach dem Entscheidenden verstanden werden müsste. Hiernach also müssten wir überlegen, was das über den Identitätsbegriff aussagt, und ob er damit nicht sogar jenseits einer ihn so oder so bestimmenden Kategorie der Totalität gedacht oder angewandt werden könnte; ob es so etwas wie dasselbe-sein jenseits einer Einheit des Seins, gestiftet nach einem bestimmten, durch das Denkbedürfnis geformten Totalitätsideal, geben kann, oder ob Identität dann eben doch innerhalb die Sphäre der bestimmten Zweckmäßigkeit des So-Seins nach gewisser Gleichsetzung gehören muss, und damit die Kommunikation dazwischen produktiv nur ohne Verweis auf die Begriffe der Identität und Totaltität je würde ablaufen können.

Ich denke, das gerade der Gegenstand der Totalität diese Identität abgibt. Einfach gesagt, beschäftigen sich ja doch die verschiedenen Denkinteressen mit denselben Gegenständen, und ebenso ja die verschiedenen Alter mit demselben Körper, und wir alle auch nach außen mit derselben Welt, auch wenn sie für uns je eine verschiedene ist. Denn die Welt ist durchaus je eine andere, das, was ich Ver-Weltung nenne, d.h. eine Erzeugung von dem, was ich zusammen als Wirklichkeit denken kann; aber das was in der Welt ist, sind ja auch Dinge, die der andre sieht, oder von denen ich das zumindest meinen kann. Identität ist denn ja auch wirklich nur, dass etwas dasselbe sein soll, nicht, dass es das schon ist; und daher kann diese Identität nicht mehr sein als Forderung; Forderung hier aber gerade nicht danach, eine Denkart den andern überzustülpen, sondern umgekehrt diese andern Arten zu denken anzudocken an die schon vorhandnen Gegenstände meines eigenen Nachdenkens, sie als das zu erkennen, was andre auch denken, und daher mein eigenes Denken durch diese beschränkt wiederzufinden. Das sichert mir kein Wissen um die Existenz des Andern, keine Kategorisierbarkeit á la Identität im politischen Sinne totaler Verwaltung in dieser Ver-Weltung, ja nicht einmal einen wirklich sichern Glauben daran; allein es erzeugt die Hoffnung, dass ich in meiner Totalität nicht gefangen bin, die ich mir ja doch zunächst sein muss, wenn ich ehrlich darin sein will, nicht beim andern das schon eingefangen zu haben, was ich von mir selbst doch noch kaum zu begreifen begonnen habe.